Interview von Britta Stammeier mit Eric Pfromm

Dieses Interview führte die Designerin Britta Stammeier, für ihre Master-Arbeit an der FH Salzburg zum Thema „Denkhaltungen im Design und systembasierte Produktentwicklung am Beispiel eines Schuhkonzeptes“. Die Arbeit wurde im BestMasters Programm 2018 des Springer Verlags aufgenommen und ist bald als Print sowie Online Version erhältlich. Derzeit ist Britta beruflich auf der Suche nach einer neuen Herausforderung. 

Für diesen Post wurde das Interview gekürzt und im Dienste der besseren Lesbarkeit bearbeitet.

Britta Stammeier: Zu Anfang würde ich dich bitten, dass du dich einmal ganz kurz vorstellst und mir erzählst woran du gerade arbeitest.

Eric Pfromm: Mein Name ist Eric Pfromm. Ich bin einer von vier Partnern der BFGF DESIGN STUDIOS.

Wir haben unser Büro in Hamburg. Derzeit beschäftigen wir zwei Mitarbeiter.innen, freie Mitarbeiter.innen eher selten. Wir haben immer wieder Praktikant.innen, oft auch aus dem Ausland. Zurzeit haben wir eine Praktikantin aus China.
Wir arbeiten hauptsächlich in Hamburg und machen vor allem Interior Design: Büros, Agenturen; auch Lokale, Kneipen, Clubs und in den letzten Jahren sind einige Ausstellungen dazu gekommen.

Seit jeher sind wir sehr stark darauf fokussiert, als Industrie- und Produktdesigner Interior Design –abgesehen vom Konzeptionellen– über den Entwurf von Kleinserien in den Griff zu kriegen. Das unterscheidet uns, glaube ich, stark von Büros, die mehr von zugekauften Produkten und Lösungen leben. Wir entwickeln sehr viel selber und lassen es gegebenenfalls produzieren.

Mein Compagnon Christian Schüten und ich beschäftigen und seit einigen Jahren mit ‚Cradle to Cradle’, zusammen mit Carsten Buck von der Hamburger Agentur Mutter. Seit ein paar Jahren sind wir zertifizierte ‚Cradle to Cradle Design Consultants‘. Und bis heute absolut begeistert von dem Konzept. Das Konzept ist dir ja bekannt, deshalb sprechen wir jetzt.

Wir haben uns da mit sehr viel Engagement hineinbegeben, wollten gerne Projekte realisieren. Um uns das in der Umsetzung zu erschließen haben wir eigene Studien gemacht. Mit der Agentur Mutter haben wir den ‚Milk Tumbler‘ entwickelt, für eine kleine Genossenschaft, die hier Milch produziert. Und wir hatten einen Kooperationsvertrag mit der EPEA –das ist die Firma von Michael Braungart– als deren Designpartner. Im Zuge dieser Partnerschaft haben wir uns mit einigen Unternehmen getroffen, die im ‚Cradle to Cradle’-Bereich bei der EPEA vorstellig geworden waren. Einige kooperierten sie bereits mit der EPEA, andere haben drüber nachgedacht. Durch diese Zusammenarbeit haben wir von den BFGF DESIGN STUDIOS einen ziemlcih guten Einblick in das Potential von ‚Cradle to Cradle’ bekommen, aber auch in die Probleme.

In der Folge haben wir viele sehr schöne Workshops an Designfakultäten gegeben. Das waren Vier-Tages-Wokshops: ‚Cradle to Cradle‘ aus Designerperspektive. Da sind wir ordentlich unterwegs gewesen: Münster, Karlsruhe, Kassel, Braunschweig und München. Das war eine tolle und spannende Erfahrung.

Stammeier: Woran glaubst du, liegt es, dass man mit Cradle to Cradle noch nicht so viel Geld verdienen kann?

Pfromm: Das ist die Kernfrage, die uns alle beschäftigt. Lass mich überlegen, wie ich es formuliere. Es hat einerseits mit den Dimensionen zu tun und andererseits mit den Mentalitäten der Akteur.innen. Das mit den Mentalitäten ist besonders interessant.

Also mit den Dimensionen ist klar: wenn du Cradle to Cradle umsetzten willst, brauchst du einen umfassenden Ansatz. Es reicht ehrlich gesagt nicht, zu sagen: „Ja, ich gucke mal woher meine Materialien kommen und lass mir die zertifizieren und dann bin ich fein raus“. Im Grunde genommen musst du schon zusehen, dass du eine Rücknahmelogistik entwickelst; entweder eine eigene oder eine gemeinschaftliche. Oder du hast ein Produkt, das auf eine bestehende Rücknahmelogistik zugreifen kann. Aber ohne die Rücknahmelogistik ist das System nicht so richtig rund, das Kreislaufsystem. Das wirkt auf Kund.innen, die auf keine bestehende Rücknahmelogistik zurückgreifen können, leider oft abschreckend.

Für kleine Firmen ist das ein riesengroße Herausforderung so eine Entwicklung zu machen; auch weil es relativ teuer ist. Man muss sich das leisten können, man muss bereit sein, alles zu ändern.

Während große Firmen –die ja teilweise bereits C2C machen– ganz andere Probleme haben. Sie machen das ja meistens auf einem Nebengleis. Das heißt, sie behalten ihr Produkt-Portfolio bei und machen eine zusätzliche Cradle to Cradle-Produktlinie. Das ist bei Puma so, das ist bei Nestlé so. Du kannst die Liste der Cradle to Cradle Firmen durchgehen, das ist relativ flächendeckend so. Das führt natürlich zu einem absurden Problem. Wenn du sagst: „Ich habe eine Vielzahl an Produkten und dieses eine Cradle to Cradle-Produkt, das ist …“ Ja, was? Wie willst du denn das kommunizieren an den Kunden, an den Markt? Denn eigentlich ist ja der Witz an Cradle to Cradle –vor allem, wenn man mit Braungart spricht– dass nur dieses eine Cradle to Cradle Produkt richtig, heilsam, förderlich und unschädlich ist. Das heißt, der ganze Rest ist schädlich. Und das ist für eine Marke wie Puma kaum zu kommunizieren. Sie müssten sagen: „Wir machen dieses Produkt das besser ist, als alle anderen Produkte, die wir machen.“ Das geht natürlich nicht. Das heißt, sie können ihre Cradle to Cradle-Produkte immer nur mit angezogener Handbremse vermarkten und das führt dazu, dass die Waren nicht so erfolgreich sind, wie sie sein könnten, wenn man mit Ihren Qualitäten Werbung machen dürfte. Es kommt deswegen sehr, sehr häufig vor, dass die Produkte nach kurzer Zeit eingestellt werden. Sie lassen sich in so einem Konzern einfach wirtschaftlich nicht abbilden.

Das ist das eine Problem. Das andere Problem ist das mit der Mentalität. Die Akteur.innen im Bereich Nachhaltigkeit haben selten ein Verständnis für die Bedeutung von Design. Die kommen meistens aus einer ganz anderen Ecke, meist aus der Wissenschaft. Die halten Design für eine aufgesetzte, nachträgliche Nebensächlichkeit, die notwendig sein mag, um das am Ende zu verkaufen, aber am eigentlichen Produkt nichts ändert. Das ist ja ein klassisches Problem, das wir Designer.innen haben. Aber in vielen Wirtschafts-Bereichen ist das gar nicht mehr so schlimm. Da haben wir tatsächlich schon Vorurteile abgebaut. Aber in dem Bereich Nachhaltigkeit ist es noch ganz stark.  Die sagen einerseits immer: „Design!“, „Das muss jetzt alles neu designt werden.“ und „Design rettet die Welt“ und „wir sind ja selber Designer.innen, wir designen neue Konzepte und Produkte“ und so weiter und sofort. Der Designer oder die Designerin selbst aber, die sind dann Schönlinge die das Zeug attraktiv machen sollen, damit es auch jemand kauft.

Das haben wir relativ drastisch bei der EPEA erfahren. Da begegnete uns die Ambivalenz zwischen der Bedeutung, die uns als Designer.innen zugemessen wurde (dass wir nämlich total wichtig sind) und dem Verständnis dafür, was eigentlich unsere Aufgabe ist (nachträglich Schminken) in aller Härte. Man hatte keine Idee davon, was wir leisten können und wie weit wir eigentlich im Boot sein müssen, damit wir dieser Aufgabe gerecht werden können. Wir sind da relativ trocken verhungert.

Es ist ja so, dass viele Designer.innen das Thema toll finden und sich da sehr engagieren. Aber das trifft eben nicht auf die Gegenliebe, die man bräuchte, um tatsächlich zu sagen: „Ok, wir brauchen das Design um diese Produkte durchzusetzen und nutzbar zu machen“.  Ich kann aus dem Stand einen Vortrag drüber halten, dass das Design entscheidend dafür ist, ein neues Produkt überhaupt nutzbar zu machen; inwiefern das, was tatsächlich von Naturwissenschaftlern für nebensächlich gehalten wird, in Wirklichkeit fundamental dafür ist, dass ein Produkt überhaupt verwendet. Das war jetzt eine kurze und ungerechte Zusammenfassung meiner Erfahrungen.

Stammeier: Wie würdest du deinen Designstil beschreiben? 

Pfromm: Mein Designstil ist aufgabengetrieben. Ich brauche und liebe das Briefing. Ich brauche meine Kund.innen. Ich kann nur mit Kund.innen gemeinsam designen. Ich brauche die Kund.innen, die ihre Wünsche und Vorstellungen haben, an denen ich dann arbeiten kann. Daraus entwickele ich Entwürfe, die dann meist über das hinausgehen, was die Kund.innen erwartet haben. Manchmal gehen sie auch über das hinaus, was sie benötigen. Es ist schon so, dass mein Designstil auch davon getragen ist, dass ich aus der Auseinandersetzung mit Design das Ungewöhnliche und konzeptionell Spannende umsetzen möchte.

Stammeier: Was beeinflusst dich gerade aktuell in deinem Design?

Pfromm: Ehrlich gesagt beschäftige ich mich gerade sehr stark mit Umsetzbarkeit. Es gab Zeiten, da war es mir nicht so wichtig, wie man etwas umsetzt. Ich habe Entwürfe gemacht und nicht so sehr danach geguckt, wie es wirtschaftlich gebaut werden soll. Das haben wir dann später möglich gemacht. Mit zunehmenden Alter fehlt mir die Kraft für diesen Umweg und ich stelle fest, dass ich sehr, sehr viel früher über Realisierbarkeit nachdenke, als ich das früher getan habe.

Stammeier: Gibt es aktuell Veränderungen die du im Design wahrnehmen kannst?

Pfromm: Es gibt natürlich große Veränderungen im Design – weg vom Produktdesign hin zum Oberflächendesign. User Experience und all das. Tatsächlich ist die Frage zunehmend, inwiefern sich der Aufgabenbereich dessen verändert, was wir früher für die Domäne des Produktdesigns gehalten haben, nämlich die Nutzbarmachung von Geräten. Das verliert sich zunehmend aus dem formal dreidimensionalen hin in die zweidimensionale Oberfläche. Das, was ich früher spannend fand;, das, von dem ich dachte, man müsste es über die Knöpfe der Dinge in den Griff kriegen, das ist heute natürlich nicht mehr das Thema klassischer Produktdesigner. Welches Lochraster der Lautsprecher hat und welchen Knopf und welchen Schalter; das bewegt sich ja alles inzwischen im Grafischen. Das ist ein gewaltiger Unterschied! Ich finde es unglaublich schade. Für mich ist es aber nicht so dramatisch, weil ich meine gestalterische Nische gefunden habe und weiter arbeiten kann, wie ich es jetzt halt tue.

Stammeier: Was ist deine Nische? 

Pfromm: Meine Nische ist Interior Design, Produkte, Leuchten, Möbel, dieser Bereich. Also das, was wir bei BFGF machen.

Stammeier: Wie hältst du dich denn über neue Entwicklungen auf dem Laufenden? Ist dir in letzter Zeit irgendwas aufgefallen was du besonders spannend fandest? 

Pfromm: Ich finde das Thema 3D-Creating extrem interessant, vor allen Dingen in der ganz heiklen Kombination mit Open Design; Open Source Design. Es ist schwierig für uns Designer, einen Umgang damit zu finden, glaube ich.  Das Thema „Internet of Things“ fasziniert mich, weil es auf der einen Seite so belanglos wirkt, aber doch das Potential hat, einschneidende Veränderungen vorzunehmen, die für uns als Designer wichtig sind. Es sind ja nun mal Things. Das heißt für uns Designer könnte das ein sehr interessantes Thema werden, wenn wir damit einen Umgang finden und jetzt halt… Es hat sich mir aber noch nicht so richtig erschlossen, inwiefern da wirklich etwas Interessantes hinter steckt.

Stammeier: Open Source sagt ja zum Beispiel, man produziert Produkte oder Baupläne, die man öffentlich macht, damit sie nachgebaut werden können. Was glaubst du, hat das für einen Einfluss auf Design? 

Pfromm: Bei uns rufen manchmal Leute an und sagen, sie müssten ein Produkt entwerfen. Ob wir ihnen sagen könnten, welches Programm wir verwenden; dann könnten sie es ja selber machen. Ich sage denen natürlich gerne welches Programm ich verwende. Wenn sie können, sollen sie das gerne selber machen (lacht). Das ist ja im Kern Open Source Design.

Ob das der Sache dient, da bin ich unsicher. Zum Beispiel, ist es mir sehr eindrücklich geworden, als ich Privat-Häuser in Argentinien besucht habe. Die Besitzer.innen haben ihre Häuser ohne Architekt.innen selber entwickelt und bauen lassen. Und mir wurde klar, wie sehr man einen Grundriss verhunzen kann, wenn man denkt das Wichtigste wäre, dass alle Räume groß sind. Ich habe selten so… was heißt selten? Ich war auf jeden Fall beeindruckt davon, wie schlecht diese Grundrisse funktionieren. Das ist für mich ein gutes Beispiel. Ich glaube, dass wir Gestalter.innen etwas können und gelernt haben. Diejenigen von uns, die okay, gut oder noch besser sind, die können das sogar richtig gut. Wenn es bei Open Design um die völlige Entspezialisierung von Design geht, dann glaube ich nicht das zu besseren Dingen führt.

Es ist natürlich am Ende die einfache Frage: Muss es Berufs-Designer.innen geben und wovon leben sie? Ich habe von den Open-Design-Visionär.innen, die selbst Designer.innen sind keine überzeugenden Antworten gehört. Zumindest keine von denen ich glaube, das es sie finanzieren kann. Ich hatte einmal eine ganz lustige Unterhaltung mit zwei Leuten, die sich beide sehr intensiv mit Open Design beschäftigt haben. Ich stand auf einer Party bei ihnen und hörte, wie sie sich darüber beschwerten, dass alle sie immer fragen, wie man denn Geld verdiene mit Open Design. Trotzdem habe ich sie gefragt: „Ja, wie verdient ihr denn Geld mit Open Design?“ Da sagten sie: „Naja, wir arbeiten an der Hochschule.“ Am Ende habe ich den Eindruck, Open Design ist ein akademisches Modell.

Ich meine, dass es für uns Designer.innen schwierig ist, Geschäftsmodelle zu entwickeln, mit denen du deinen Lebensunterhalt verdienen kannst. Es gibt Konzepte, nach denen man als Berater.in hilft. Man lässt die Leute selber gestalten und wenn sie das Gefühl haben, sie brauchen Hilfe, dann können sie auf den/die Designer.in zugreifen. Die bekommen das auch bezahlt. Aber ich glaube nicht daran. Weder and das Überleben des/der Designers/Designerin, noch an die Qualität der so entstehenden Produkte.

Stammeier: Wo liegen dabei die Hindernisse wirklich? 

Pfromm: Es erscheint mir so gut wie unmöglich, auf diese Weise Geld zu verdienen. Es ist ja für uns als professionelle Designer.innen schon schwierig Geld für Entwürfe zu bekommen. Wenn von deiner Leistung nichts mehr übrig bleibt, als ein Computerprogramm, vielleicht ein bisschen Erfahrung und schließlich ein Angebot, zu helfen dann würde es mich wundern, wenn man davon leben kann.

Stammeier: Jetzt gibt es ja zum Beispiel auch noch eine andere Strömung, die nennt sich Transformationsdesign. Sie umfasst zum Beispiel auch die Nicht-Gestaltung von Produkten. Wie denkst du als Designer drüber. 

Pfromm: Ja, das ist spannend für Studenten und Studentinnen. Ich kenne Idee von der  Vermeidung von Design aus dem eigenen Studium. Das war in den 90ern ein großes Thema. Das ist jetzt auch schon mehr als zwanzig Jahre her. Also: die Vermeidung von Design gestalten. Klar brauchen wir nicht noch einen Stuhl und klar kann man überlegen, wie notwendig das alles ist und wie es sich ersetzen lässt und so weiter. Und das ist auch richtig. Aber es ist aus meiner Perspektive keine Überlegung für Designe.innenr. Weil es nichts zu gestalten gibt an der Vermeidung von Gestaltung.

Wir als Designer.innen brennen ja eigentlich dafür, Dinge zu gestalten und in die Welt zu entlassen. Wenn wir der Meinung sind, dass das nicht mehr nötig ist, dann halte ich es für sehr empfehlenswert, das wir uns einfach einen anderen Beruf suchen. Einen, der sich mit etwas beschäftigt, das wir für sinnvoller halten als die Gestaltung neuer Dinge.

Aber solange man Designer.in ist, sollte man es für sinnvoll halte,  Dinge zu machen und zu entwerfen. Und das ist ja übrigens der Kern von Cradle to Cradle. Das finde ich so großartig. Wir sagen: „Es geht nicht um Vermeidung und Verzicht, sondern es geht darum, mehr zu schaffen, für mehr Leute und mehr Bedürfnisse – ohne Schaden anzurichten.“ Und das ist für uns Designer.innen großartig, weil wir dann wieder das machen dürfen, was wir eigentlich gerne machen: nämlich Sachen entwerfen und realisieren. Ich will nicht sagen, dass die Leute doof sind, die für den Verzicht oder die Vermeidung von Produkten sind. Ich finde es nur für mich beruflich irrelevant.

Stammeier: Inwieweit haben denn zum Beispiel aktuelle Diskussionen wie Ressourcenknappheit Einfluss auf die Arbeit bei euch, oder bei dir? 

Pfromm: Ressourcenknappheit hat massiven Einfluss auf meine Arbeit, weil das die Grundlage dafür ist, über Cradle to Cradle nachzudenken. Aber wir, wir als Konsument.innen, leiden ja nicht im Alltag unter Ressourcenknappheit. Wir entsorgen funktionsfähige Fernseher auf der Straße, weil wir uns neue Flachbildfernseher kaufen. Nur weil wir einen neueren oder größeren haben wollen. Hier fehlt uns ein konkretes Gefühl, dass die Ressourcen knapp sind. Das ist ein gesellschaftliches Problem. Deswegen passiert ja auch so wenig, weil es nicht wirklich erfahrbar ist, sondern nur intellektuell verstehbar. Und so ist es in meinem Beruf auch. Ich kann keine Kundin und keinen Kunden davon überzeugen, eine Ressourcen schonende Maßnahme zu ergreifen, weil es sich für sie nicht lohnt. Ich kann ihn nur mit anderen Argumenten überzeugen. Moralischen. Und die sind am Ende leider nicht sehr stark.

Stammeier: Ihr arbeitet viel nach Cradle to Cradle. Inwieweit berücksichtigt ihr das bei der Arbeit?

Pfromm: Bei weitem nicht so stark wie wir gerne würden. Wir versuchen Produkte einzusetzen oder die Mischung von Materialien zu vermeiden, aber wir sind sehr stark abhängig von dem Einverständnis unserer Kund.innen. Sobald ein Produkt dadurch teurer wird, ist es zumindest schwierig. Es ist aber schon vorgekommen, dass sie trotz höherer Kosten begeistert sind. Meistens aber nicht. Meistens haben die Kund.innen zu wenig Geld für das was sie wollen. Meistens müssen wir alles so günstig wie möglich hinkriegen, damit das Projekt überhaupt realisiert werden kann. Dann gehört Cradle to Cradle zu den allerersten Dingen, die aus dem Budget fallen.

Stammeier: Was würdest du sagen, steht bei euch im Mittelpunkt der Arbeit? 

Pfromm: Im Mittelpunkt unserer Arbeit steht das Bedürfnis, mit den Mitteln unserer Kund.innen so großartige Entwürfe wie möglich zu realisieren.

Stammeier: Sucht ihr euch eure Projekte selber aus oder kriegt ihr größtenteils Aufträge?

Pfromm: Wir kriegen fast nur Aufträge. Wir haben ganz selten mal eine Eigenentwicklung, die wir dann versuchen zu vermitteln. Wir sind absolut darauf angewiesen, Kund.innen zu haben, die uns bezahlen. Eine Eigenentwicklung muss vorfinanziert werden. Das ist für uns als Bürobetrieb eine zu große Belastung. Wir müssen schließlich einen gewissen Umsatz machen.

Stammeier: Was hat euch denn dazu gebracht, nach Cradle to Cradle zu arbeiten?

Pfromm: Wie immer gibt es die guten und die nicht so guten Gründe dafür und das Ergebnis mischt sich aus beiden. Es fing damit an, dass Carsten Buck mit meinem Compagnon Christian Schüten befreundet ist. Er lernte fast zufällig Michael Braungart kennen und sagte zu Schüten, er wollte dieses Ding machen: C2C-Workshops für Designer.innen – die gibt es extrem selten. Ich glaube, es gab nur zwei; also nach unserem wurde auch kein weiterer gemacht. Daran haben dann auch hauptsächlich Designer.innen anderer Länder dran teilgenommen. Ich weiß gar nicht wie viele Deutsche Cradle to Cradle Design Consultants es insgesamt gibt, wahrscheinlich sind es nicht mehr als zehn. Damals fragte Carsten Buck Christian Schüten, ob er mitmachen wolle. Das ist kein ganz billiges Vergnügen gewesen. Schüten fragte mich ob er das machen soll und ich sagte: „Ja komm, lass uns das doch zusammen machen.“

Dann haben wir uns zu dritt, mit Carsten Buck, angemeldet. Für mich gab es dann eine irre Situation als wir in der Kennenlernrunde saßen. Die Moderator.innen fragten: „Auf einer Skala von Eins zu Zehn, wie weit seid ihr schon vertraut mit dem Cradle to Cradle Konzept?“ Das fing – entsetzlicherweise – bei der Frau neben mir an und ging so von mir weg, sodass ich der Letzte war. Reihum sagten dann alle so, „Auf einer Skala von eins bis zehn bin ich bei Drei oder bei Vier“ und eine hatte sich intensiv beschäftigt, die sagte: „So Acht.“ Ich habe mich noch nie mit Cradle to Cradle beschäftigt, ich wusste nichts. Ich dachte ich, wenn ich dann dran komme, sage ich „Eins“. Dann kam aber Christian Schüten, mein Compagnon vor mir an die Reihe: er habe da ein bisschen drüber gelesen und sich vorbereitet, er würde sagen, auf einer Skala von eins bis zehn: Eins. Oh je! Ich wusste, dass er viel mehr über Cradle to Cradle weiss als ich. Also, was sollte ich machen? Auf einer Skala von eins bis zehn war meine Beschäftigung mit Cradle to Cradle bei Null! Peinlich.

Aber als ich mich dann damit beschäftigt hatte, war ich begeistert und mir wurde klar, warum. Wir waren schon einige Jahre Umweltberater der Stadt Hamburg. Ganz klassisch in der Idee von Ressourcenmanagement und nachhaltigem Design haben wir an einem Programm teilgenommen, um Hamburger Unternehmen zu beraten. Ich war mit dieser Rolle immer unglücklich gewesen. Eigentlich haben wir eine Funktion zugewiesen bekommen, die überhaupt nicht unseren Fähigkeiten entspricht: irgendwie Ressourcen sparen. Die Erwartung war, dass wir die grandiose Idee haben, welche Schrauben man noch weglassen kann. Oder wir schlagen vor, die gleichen Schrauben an zwei unterschiedlichen Stellen einzusetzen. Oder wir sparen mit irgendwelchen „Biomimicry“-Techniken Materialstärken ein. Oder wir substituieren Materialien. Das sind aber alles eher Fragen, die sich Ingenieur.innen oder Verfahrenstechniker.innen stellen sollten.

Deswegen war ich so glücklich mit Cradle to Cradle. Weil das Prinzip tatsächlich perfekt für Designer.innen ist, um die eigenen Stärken auszuspielen: neue Produkte zu entwickeln, Konzepte zu entwickeln, ganze Systeme zu entwickeln.

Stammeier: Gibt es etwas, das du anders machen wollen würdest an dem Konzept Cradle to Cradle?

Pfromm:? Ich glaube, dass es sich viel mehr mit der Bedeutung von Design beschäftigen müsste. Das tun sie natürlich nicht, weil die Akteure des Cradle to Cradle Naturwissenschaftler.innen sind. Aber ich glaube, dass sich tatsächlich am Design entscheidet, ob Cradle to Cradle funktionieren kann oder nicht. Das halte ich für wichtig und das fehlt.

Stammeier: Was ist die Bedeutung von Design bei Cradle zu Cradle?

Pfromm: Ich hatte eine Diskussion mit einem der Wissenschaftler.innen der EPEA, wo es darum ging warum ein bestimmtes Produkt wirtschaftlich nicht funktioniert. Er sagte: „Dieses Produkt ist super, das müssen sie nur besser verkaufen und erklären.“ Darauf habe ich gesagt: „Ja, aber wenn es sich nicht verkauft und nicht erklärt, dann ist es nicht super, dann funktioniert es ja nicht.“ Dann sagte er: „Nein, das ist nur eine Frage der Wahrnehmung, das Ding selber ist super.“ Qualität ist ja bei denen immer –meiner Meinung nach ganz fälschlicherweise– ein ganz wichtiger Begriff. Ich halte das für falsch, weil die Vorstellung von Qualität nicht stimmt. Also die Qualität ist gut, das Produkt ist überlegen, man muss nur an der Wahrnehmung arbeiten. Da dachte ich: „Das ist verrückt, weil wir im Weltverständnis eigentlich schon weiter sind.“ Ich habe darüber später noch intensiver nachgedacht. Wie ich aus dieser Diskussion rausgekommen bin weiß ich nicht mehr. Aber in der Folge habe ich überlegt: „Es ist verrückt, dass ausgerechnet ein Wissenschaftler so argumentiert. Denn mit der ganzen Entwicklung der Quantenphysik sind wir da eigentlich drüber hinweg, diese Trennung überhaupt machen zu können. Es wird Einstein unterstellt, gesagt zu haben: „Facts are facts but perception is reality“ und das fasst für mich ganz schön zusammen, worum es dabei geht. Worum es da auch beim Design geht. Es gibt keine Qualität, es gibt kein Produkt, es gibt keine Funktion abseits der Wahrnehmung des Produkts. Die Wahrnehmung ist das Produkt. Wenn es dir nicht gelingt, die Funktion wahrnehmbar zu machen –ob diese Funktion jetzt Qualität ist oder dass Milch aufschäumt oder dass man sich nicht vergiftet, wenn man es trinkt– wenn es dir also nicht gelingt diese Funktion wahrnehmbar zu machen, dann existiert sie nicht. Und das ist am Ende die Aufgabe vom Designer und der Designerin.

Stammeier: Bei Cradle to Cradle ist ja auch die Rede von einem positiven Fußabdruck. Inwieweit könnt ihr als Designer etwas dazu beitragen?

Pfromm: Wenn du tatsächlich ernsthaft einen positiven Fußabdruckes hinbekommen willst, dann ist ja die Voraussetzung, dass du es schaffst, etwas zu machen, das nicht nur keinen Schaden anrichtet, sondern darüber hinaus noch Nutzen erzeugt. Im abstrakten Bereich von Funktion im Sinne „Sachen nutzbar zu machen oder besser nutzbar zu machen“ ist das eine Sache. Wenn du es jetzt tatsächlich im chemischen, weltlichen Bereich machen willst, dann brauchst du ein Zusammenspiel von Designer.innen, Ingenieur.innen, Naturwissenschaftler.innen und Unternehmer.innen. Ich glaube das kriegst du nur im Zuge eines ganzheitlich aufgesetzten Projektes hin.

Stammeier: Was glaubst du, hat das für Auswirkungen auf die Gestaltung eines Produktes?

Pfromm: Massive Auswirkungen. Du kannst ein Produkt anders gestalten. Also: erstens musst du es sowieso anders gestalten, wenn du es dafür gestaltest, dass es  in Einzelteile zerlegbar ist, die sich sortenrein trennen lassen. Dann ist es natürlich spannend, inwiefern du dir das nutzbar machen kannst. Und du musst dir die Frage stellen, wie du das zerlegbare Produkt mit einem Wert aufladen kannst, der die Konsument.innen mit Stolz erfüllt, wenn sie es benutzen. Kannst du auch einen wirtschaftlichen Anreiz entwickeln, damit der Konsument oder die Konsumentin das ganze Produkt oder Teile davon in den Kreislauf zurück gibt? Auch das ist ein Riesenthema. Natürlich hat es gestalterisch extreme Auswirkungen, wenn du nicht mehr hauptsächlich mit der Vermeidung von Materialeinsatz beschäftigt bist oder mit der Verschlankung und Verdünnung und …Verleichterung von Materialien. Statt dessen überlegst du, ob es auch schwerer sein darf, wenn es dadurch recyclebar wird. Das ist eine ganz andere Welt!

Stammeier: Wie würdest du sagen, sieht aktuelles Produktdesign aus?

Pfromm: Aktuelles Produktdesign leidet unter dem „Blackboxing“ der Gegenstände, der Austauschbarkeit von Formsprache. Das ist in meinen Augen ganz deutlich. Durch die Verlagerung der ganzen Benutzerführung und Bedienungsanteile auf den Monitor, werden die Produkte ja zunehmend austauschbare Kisten. Du weißt ja nicht mehr, welche Kiste was macht. Ein Fernseher sieht aus wie ein großes Telefon, ein Telefon sieht aus wie eine Fernbedienung, die Waschbeckenarmatur sieht auch aus wie ein kleines Telefon. Das glaube ich, ist ein Problem. Das müsste eigentlich besser hinzukriegen sein. Wir Produktdesigner.innen müssten uns eigentlich mal ein bisschen am Riemen reißen und das Feld nicht so leicht hergeben.

Stammeier: Woran das liegt es, dass sich das so entwickelt hat?

Pfromm: An der Digitalisierung der Gerätschaften. Vom Analogen ins Digitale wird alles zum Computer. Alle Computer sehen gleich aus. Ob da am Ende Wasser rauskommt oder Licht oder Essen ist dann nur noch eine Frage des Programms. So verlieren die Produkte, die Objekte selbst ihre Einzigartigkeit. Weil sie auch am Ende nicht einzigartig sind.

Stammeier: Wenn du jetzt an ökologisches Design denkst, was hast du da für ein Bild im Kopf, kannst du mir das beschreiben?

Pfromm: Wenn wir darüber sprechen, wie das klassischerweise aussieht, habe ich diesen ungelenken Versuch vor Augen, über natürliche Materialien Nachhaltigkeit vorzutäuschen.

Stammeier: Kannst du das näher ausführen? 

Pfromm: Es gibt den Möbelbereich; dort wird dann viel Holz, Stoffe oder Bambus verwendet. Dann sind alle der Meinung, so lange du einen natürlich nachwachsenden Rohstoff verwendest, bist du im Bereich des nachhaltigen und ökologischen Designs. Das kannst du auch den Kund.innen vermitteln. Ich finde das ärgerlich. Aus meiner Perspektive interessierst du dich in dem Moment gar nicht dafür, dass du aus diesem natürlich nachwachsenden Rohstoff Sondermüll produziert hast, indem du ihn mit Ponal verklebt hast. Du hast ihn komplett aus dem Kreislauf genommen.

Zusammenfassend würde ich sagen, wir haben diejenigen, die etwas als ökologisch verkaufen wollen und dann mit natürlichen Materialien und Beige-Tönen arbeiten. Und wir haben diejenigen, die ein ökologisches Produkt machen wollen und versuchen, es genauso wirken zu lassen wie alle Anderen. Aus Angst, in die Jute-Ecke der 80er Jahre zu geraten.

Das heißt, wir haben die „echten“ ökologischen Produkte, die nicht so aussehen wollen und die „falschen“, die so aussehen wollen. Und beide kriegen es nicht so richtig hin – obwohl es die Falschen natürlich besser hinkriegen. Das ist auch wieder ein Thema für uns als Designer.innen. Deswegen halte ich es für so wichtig, dass wir sagen müssen: „Nein! Ihr könnt nicht ein besseres Produkt machen und dann so aussehen wollen wie die Anderen. Wenn ihr anders sein wollt –nämlich besser– dann müsst ihr auch anders aussehen.“
Wir hatten das lustigerweise hier bei Fairphone (hält das Fairphone 2 in die Kamera). Schüten und ich; wir sind im ersten Enthusiasmus auf die in Holland zugegangen. Dann sind wir zum Fairphone Open Design Bootcamp eingeladen worden. Da wurden erste Konzepte für die zweite Generation dieses Telefon entwickelt. Wir haben ganz lange genau über den Punkt geredet, weil die immer sagten: „Ja das ist sozusagen ein Fairtrade, sozial verantwortliches Gerät. Das ist genauso gut wie die anderen und soll dementsprechend auch genauso aussehen.“ „Das kann nicht euer Ernst sein! Ihr seid nicht genauso wie die anderen. Ihr seid besser, ihr müsst besser aussehen. Zuerst müsst ihr anders aussehen und danach könnt ihr alles andere überlegen.“ Ganz glücklich bin ich damit, dass sich der Gedanke tatsächlich durchgesetzt hat. Obwohl es damals nicht so wirkte. Ich weiß nicht ob du diese transparente Rückenabdeckung kennst. Wir haben damals gesagt (mein holländischer Teamkollege und ich): „Wenn ihr so stolz auf die Innereien seid – dann seht doch zu, dass man die sehen kann. Wir haben ein Modell gemacht mit durchsichtigem Rückenteil. Am Ende haben die das tatsächlich so ähnlich gemacht!

Das ist das, was Designer können müssen. Wenn du das Fairphone jetzt auf den Tisch legst, dann weiß jeder, das Telefon ist anders als die anderen. Das ist wichtig! Das ist eine Design.innen-Leistung. Und das müssen biologisch verantwortliche oder ökologisch verantwortliche Produkte können. Sie müssen selber ihre Stärken kommunizieren, damit du keinen Flyer dran kleben musst um zu sagen, was an dem Produkt toll ist.

Stammeier: Was wünschst du dir für die Zukunft?

Pfromm: Ich wünsche mir eine Generation von jungen Designern und Designerinnen, denen es gelingt, ihr Geld damit zu verdienen, unsere Produktwelt kreislauffähig zu machen.

Ich finde es super, wenn ihr euch schon während des Studiums mit den Themen beschäftigt und mit dem Wissen rausgeht. Am Ende darf ein Kunde oder eine Kundin eigentlich gar niemanden mehr finden, der oder die ein Produkt entwirft, das nicht kreislaufwirtschaftlich funktioniert. Darüber würde ich mich freuen. Dann hat der Beruf des Designers und der Designerin auch tatsächlich eine Überlebenschance. Das wäre unsere Chance wirklich relevant zu werden.

Stammeier: Siehst du da schon einen Wandel? 

Pfromm: Bei den jungen Leuten, ja. Aber das muss ein flächendeckender Teppich von Designern und Designerinnen sein, dem nicht zu entkommen ist.

Stammeier: Ich danke dir für das Gespräch.[/vc_column_text][/vc_column][/vc_row]

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